Entgeltfortzahlung bei Infizierung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in zwei Urteilen vom 20. März 2024 über die Frage entschieden, ob und inwieweit Beschäftigte einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG geltend machen können, wenn sie mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert waren. Die Rechtsprechung des BAG hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Abwicklung der vom Arbeitgeber gem. § 56 Abs. 5 IfSG geltend gemachten Erstattungsanträge. Das BAG hatte in beiden Entscheidungen über die Frage zu befinden, ob den Beschäftigten die gegenüber ihren Arbeitgebern geltend gemachten Entgeltfortzahlungsansprüche nach § 3 EFZG zustanden oder nicht.
In beiden Fällen waren die Beschäftigten ungeimpft, wurden positiv auf das Coronavirus getestet und hatten für die streitrelevanten Zeiträume keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. In beiden Fällen hatten die zuständigen Behörden eine häusliche Absonderung angeordnet, wobei in NRW dies an und für sich nicht notwendig gewesen wäre, da der Kläger sich nach der in NRW zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Test- und Quarantäne-Verordnung ohnehin nach Erhalt des positiven Testergebnisses auf direktem Weg in Quarantäne zu begeben hatte. Während die aus Thüringen stammende Klägerin keinerlei Symptome aufwies, litt der in Nordrhein-Westfalen tätige Kläger an Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen und hatte für die ersten vier Tage nach Feststellung seiner Infizierung von seinem Hausarzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt bekommen. Für die Folgezeit vom 03.01.2022 bis zum 12.01.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Sein Arbeitgeber zahlte für ihm für diesen Zeitraum weder Entgelt noch Entschädigung. In beiden Fällen wurde dem Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung zugesprochen.
Bewertung der Entscheidungen
Die Entscheidungen des BAG sind kritisch zu bewerten. Zwar ist dem Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung bei einer Infizierung mit dem Coronavirus aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen (Ausnahmen z. B. bei Leistungen im Home-Office denkbar). Dies beruhte aber auf keiner Arbeitsunfähigkeit im eigentlichen Sinne, nämlich der krankheitsbedingten Verhinderung, so dass auch Ansprüche nach § 3 EFZG ausfallen müssten. Entgeltansprüche könnten dann allenfalls nach § 616 BGB, der einen Ausfall für eine nicht erhebliche Zeit voraussetzt, unter Beachtung etwaiger vertraglicher / tarifvertraglicher Sonderregeln aufrechterhalten bleiben. Das BAG verkennt insoweit, dass die tatsächliche Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmer nicht durch eine Krankheit aufgrund eines regelwidrigen Zustands ausgelöst und eingeschränkt wird. Vielmehr ist das öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverbot die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall, welches unabhängig von der Symptomatik der Infektion und vom Gesundheitszustand des Arbeitnehmers eingreift . Dies zeigt auch der Umstand, dass infizierte Beschäftigte, die keine Symptome aufweisen, durchaus im Home-Office ihre Arbeitsleistung erbringen können.
Die Entscheidungen des BAG betreffen allein den Sonderfall des rechtlich begründeten Arbeitsausfalls. Sie können nicht generell auf jede Form einer Infektion (z. B. Infektion mit dem Grippevirus, HI-Virus-AIDS etc.) übertragen werden. Nach dem Verständnis des BAG führt eine symptomlose Infektion lediglich dann zu einer Arbeitsunfähigkeit, wenn infolge einer öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung eine staatliche Regelung (Beschäftigungsverbot, häusliche Quarantäne) die Beschäftigten an der Aufnahme ihre Arbeit rechtlich hindert. Dies bedeutet aber zugleich, dass eine Coronainfektion derzeit nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, da infolge der Lockerung der Coronaregeln aktuell keine staatlichen Quarantäneregeln bei einer Infizierung zur Anwendung gelangen. Die Änderung der Coronaregeln führt damit mittelbar dazu, dass der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in dem vom BAG vertretenen Sinne trotz gleicher Infektionslage unterschiedlich einzuordnen ist. Dies ist im Grunde genommen absurd und zeigt auf, wie problematisch und widersprüchlich die Entscheidungen des BAG sind.
Auswirkungen der Entscheidungen auf die betriebliche Praxis
Die Entscheidungen des BAG haben sowohl Auswirkungen im Hinblick auf die zukünftige Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen durch Beschäftigte während einer Pandemie als auch auf die Frage, ob und wann Arbeitgeber bei Eingreifen von öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverboten zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sind.
a. Auswirkungen auf die Beurteilung der Entgeltfortzahlungsansprüche
Für Arbeitgeber könnte es zukünftig zweckmäßig sein, je nach Lage des Einzelfalls den Umstand der durchgängigen Infizierung zu bestreiten. Beschäftigte müssten dann zur Entgeltfortzahlung durchgängig ihre Infizierung mit einem Virus nachweisen, wenn die Infizierung zugleich mit einer öffentlich-rechtlichen Zwangsmaßnahme verbunden ist. Die einmalige Vorlage eines Infektionstests durch Beschäftigte beim Arbeitgeber dürfte jedenfalls nicht ausreichend sein, um eine Infektion – und damit zugleich die Arbeitsunfähigkeit iSd der BAG-Rechtsprechung – für einen längeren Zeitraum ohne zusätzliche ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Im Übrigen können sich Arbeitgeber auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen berufen, wenn die Beschäftigten die Entgeltfortzahlungsansprüche nicht fristgerecht geltend machen.
b. Folgen für die Abwicklung der arbeitgeberseitigen Erstattungsanträge
Die Urteile des BAG werden die Entscheidungspraxis der Behörden verändern. Insgesamt sind alleine in NRW von Arbeitgebern bis heute 1,15 Millionen Anträge nach § 56 IfSG gestellt worden. Seit Dezember 2020 wurden rund 950.000 Anträge bearbeitet. Ende Mai 2024 waren ca. 200.000 Anträge auf Erstattung von Entschädigungsleistungen nach § 56 IfSG noch nicht abschließend beschieden.
Abwicklung der anhängigen Erstattungsanträge
Seit Ende Oktober 2023 ist die Bearbeitung der Anträge auf Verdienstausfallentschädigung ausgesetzt. Anlass hierfür waren mehrere gerichtliche Entscheidungen, die von der bisherigen Entscheidungspraxis der Behörden abweichen. (OVG Münster vom 10.03.2023 – 18 A 563/22 / BAG vom 20.03 2024 – 5 AZR 234/23 und 5 AZR 235/23). Es ist zu erwarten, dass die Behörden nach Analyse der Entscheidungen ihre bisherige Entscheidungspraxis nicht mehr aufrechterhalten und zukünftig die beantragten Erstattungen versagen werden. Gegen ablehnende Versagungsbescheide könnten Arbeitgeber vor den Verwaltungsgerichten vorgehen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Verwaltungsgerichte der Auffassung des BAG folgen werden.
Eine Rückabwicklung bereits ausgezahlter Erstattungsbeträge ist wiederum nicht zu erwarten. Insofern dürfte der Vertrauensschutz zu Gunsten des antragstellenden Arbeitgebers greifen
Ausblick
Die BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände) setzt sich aktuell bei der Bundesregierung für eine Änderung bzw. Ergänzung des IfSG ein, da andernfalls bei Anwendung der BAG-Rechtsprechung die Kosten einer Pandemie in Bezug auf das Arbeitsverhältnis einseitig und nahezu vollständig auf die Arbeitgeberseite verlagert würden.